Greenway am Wenyu-Fluss

Gestern, am Pfingstsonntag war ich früh auf den Beinen, um mit dem Rad nach Osten, zum Wenyu-Fluss zu fahren. Der Plan war, immer am Tonghui-Fluss entlang, der südlich von meinem Apartment fließt. Insgesamt war ich bis zum Ende des Tages 6-7 Stunden – bei ca. 60 km Strecke – im Sattel; und das bei zeitweise 32°C. So war ich dann auch entsprechend platt und konnte gut schlafen!

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In meinem Frühstücksrestaurant wird noch ein traditioneller chinesischer "Kanonenofen" benutzt (im Vordergrund)
In meinem Frühstücksrestaurant wird noch ein traditioneller chinesischer „Kanonenofen“ benutzt, auf dem hier die Teeeier köcheln

Um kurz vor Sieben, beim obligatorischen chinesischen Frühstück im kleinen Nudelrestaurant gleich um die Ecke, hatte ich Gelegenheit beim Wechseln der „Brennelemente“ zuzuschauen. In diesem Restaurant wird noch ein traditioneller chinesischer „Kanonenofen“ benutzt, der mit runden, scheibenförmigen Kohlebriketts beheizt wird. Das ist inzwischen selten geworden, das die Regierung wegen er starken Feinstaubbelastung versucht, die Holz- und Kohlefeuerung in den urbanen Gebieten drastisch zu reduzieren. Die Briketts sind etwa 8 cm hoch und haben einen Durchmesser 15 cm.

peking_kanonenofenIn dem Ofen sind mehrere solcher, mit senkrechten Löchern, versehenen Briketts übereinander gestapelt. Durch diese Löcher kann das Feuer von der Belüftungsklappe unten bis nach oben durchbrennen und so für gleichmäßige Hitze sorgen. Wenn das untere Brikett droht zu Asche zu zerfallen, muss es rechtzeitig entfernt werden. Hierfür werden die Briketts durch die obere Öffnung – auf der gekocht wird – mit einer speziellen etwa 50 cm langen Zange in den Löchern gefasst, aus dem Ofen gezogen und auf dem steinernen Boden zwischengelagert. Das auszutauschende Brikett wird zum Ausglühen vorsichtig zur Seite geschoben, wo es Niemandem schaden kann. Dann werden die Briketts wieder der Reihe nach in den Ofen gesetzt, das frische Brikett ganz nach oben. Die geübten Hände der Wirtin brauchen für den gesamten Ablauf keine drei Minuten. Dann wir der große Kochtopf gespült und eine neue Portion Sojamilch angesetzt.

油条 (Youtiao, in Fett gebackene Teigstangen) und 茶鸡蛋 (Chajidan, in gesalzenem Tee gekochtes Hühnerei) und eine Schale 豆浆 (Doujiang – Soyamilch)
油条 (Youtiao, in Fett gebackene Teigstangen) und 茶鸡蛋 (Chajidan, in gesalzenem Tee gekochtes Hühnerei) und eine Schale 豆浆 (Doujiang – Soyamilch)

Mir war dieser Exkurs hier wichtig, da er mein Frühstück bestehend aus 油条 (Youtiao, in Fett gebackene Teigstangen),  茶鸡蛋 (Chajidan, in gesalzenem Tee gekochtes Hühnerei) und einer Schale 豆浆 (Doujiang – Soyamilch) unterhaltsam begleitete. Gegen sieben Uhr kam ich dann endlich los – zuerst allerdings in die verkehrte Richtung am Fluß entlang nach Süden. Eigentlich ist der Fluss ja ein Kanal. Am Stand der Sonne bemerkte ich dann meinen Navigationsfehler. Also nach Osten, der Sonne entgegen!

Noch ist es kühl am Tonghui-Fluss
Noch ist es kühl am Tonghui-Fluss

Dass ich vergessen hatte, mich mit Sonnenschutz einzucremen sollte ich erst später am Nachmittag bemerken. Peking liegt auf dem gleichen Breitengrad wie Madrid; und vormittags nach Osten der Sonne entgegen und nachmittags gen Westen mit verbranntem Gesicht in die Abendsonne. Noch war es allerdings kühl und das blieb auch bis etwa 9 Uhr so. Teilweise kann man an diesen Teilstücken des Kanals unten am Wasser bei den Anglern radeln, manchmal muss man auch die Seite wechseln oder auf dem breiten Radweg der Schnellstraße parallel zum Wasserlauf.

Auf einigen Teilstücken wird der Tonghui-Fluss ausgebeessert
Auf einigen Teilstücken wird der Tonghui-Fluss ausgebeessert

Dass der Fluss in seinem Kanalbett in östliche Richtung fließt, kann man an einigen Stellen deutlich sehen, dort wo die langen Algenbüschel bis an die Oberfläche kommen, da der Fluss derzeit wenig Wasser führt. Kurz bevor man nach Tongzhou kommt gibt es auch eine Staustufe mit einem Höhenunterschied von schätzungsweise drei Metern. An einigen Stellen wir der Kanal ausgebessert. Mehrere Arbeiter stehen dann bis zur Brust im Wasser und montieren das schwere Gerät.

Routenkarte der Radtour zum Wenyu Fluss; Hinweg blau, Rückweg orange
Routenkarte der Radtour zum Wenyu-Fluss; Hinweg blau, Rückweg orange

Zum Glück habe ich eine recht genaue Offline-Karte (maps.me) dabei, die mir immer wieder gute Anhaltspunkte gibt, wenn die Spürnase den richtigen Weg nicht findet. Und genug Wasser für den ganzen Tag habe ich hoffentlich auch. Außerdem einige Aprikosen und drei Handvoll Kürbiskerne und Rosinen.

Die alte Brücke, wo der Tonghui in den Wenyu mündet
Die alte Brücke, wo der Tonghui in den Wenyu mündet

Dort wo der Tonghui in den größeren von Norden kommenden Wenyu mündet gibt es eine alte Brücke, die allerdings erst um 10 Uhr für den Publikumsverkehr geöffnet wird. In fahre am Westufer des Wenyu zur übernächsten Brücke nördlich von Yongshunzhen, überquere sie und entdeckte dann auf der Ostseite zu meiner großen Freude, dass hier das eine Ende des „Beijing Greenway“ – einem weitläufigen Netzwerk von Radwegen durch begrünte Gürtel, Zonen und Naherholungsgebiete. Ich hatte bisher nur davon gelesen und war jetzt beeindruckt von der gewaltigen Ausdehnung dieser städteplanerischen Neuerung. Allein in 2017 sollen weitere 500 km solcher Wege angelegt werden!

Weitere Informationen zu Beijing Greenway:
Beijing Greenway, a Mega Green Space for a Mega City
Townplanning Group, Australia
Beijing to Build more Greenways
eBeijing, Official Website of the Beijing Government, 2017-04-13
Beijing to start building 500-km greenways in 2017
English Qianlong.com,  2017-03-31

Beijing Greenway: Brandneue rote Radwege schlängeln sich durch die Parkanlagen auf beiden Seiten des Wenyu-Flusses
Beijing Greenway: Brandneue rote Radwege schlängeln sich durch die Parkanlagen auf beiden Seiten des Wenyu-Flusses

Dabei ist die Anlage noch der kleinere Aufwand; die landschaftsgärtnerische Betreuung dieser kleinen Biotope ist sehr umfangreich, beginnend mit dem ständigen Wässern der Anlagen. Selbst Bäume, die nur wenige Meter über dem Wasserspiegel des Flusses stehen müssen derzeit fast täglich bewässert werden.

Jedem Gewächs seine eigene Bewässerungsmulde
Jedem Gewächs seine eigene Bewässerungsmulde

Allenthalben sieht man Wassersprenger und Gartenarbeiter, die Schläuche – teilweise mehrere hundert Meter von gekoppelten Feuerwehrschläuchen – durch die Vegetation ziehen. Fast jedes Gewächs bekommt eine eigene Bewässerungsmulde, die das Wegfließen verhindert. Man muss dazu wissen, dass der Lehmboden (Löss) in diesem teil Chinas zwar sehr fruchtbar, jedoch auch sehr kompakt ist und Feuchtigkeit nur langsam aufnimmt; dann jedoch recht gut speichert.

Eine hiesige Art des Sonnenhuts
Eine hiesige Art des Sonnenhuts
Ein echter Sonnenhut (Echinacea)
Ein echter Sonnenhut (Echinacea)
Die Wildblumen locken Bienen an, hier auf einer Kornblumenblüte
Die Wildblumen locken Bienen an, hier auf einer Kornblumenblüte

Etwa 90% der hier gepflanzten Gewächse, sind auch bei uns bekannt und gewöhnlich. Neben hauptsächlich Pappeln und Weiden gibt es verschiedene Kiefernarten, Akazien, Robinien, Ginkgos und Obstbäume wie Aprikosen, Pfirsiche und Mandeln.Ich habe bisher hier nur eine einzige kleine Eiche in einem Experimentiergartenanlage gesehen. Auch Birken sind mir noch nicht vorgekommen. Auch die hiesigen Staudengewächse kommen in den meisten unserer Parks vor. Erstaunlich ist trotzdem die Vielfalt. An einigen Stellen geht knochentrockenes Grasland in blühende Wildblumenwiesen über. Meist Bartnelken, verschiedene Sonnenhut- und Kleearten sowie Kornblumen. Noch gar nicht gesehen habe ich Fuchsien, Mohn und Margeriten.

Über den Wiesen tummeln sich viele Schmetterlinge, allerdings nur Kohlweisslinge und Zitronenfalter. Nach der großen Kampagne „Ausrottung der vier Plagen“ in den 1960er-Jahren waren fast alle Wild- und auch Singvögel in China vom Aussterben bedroht. Vor allem den Sperlingen ging es an den Kragen. Selbst vor 25 Jahren waren Spatzen in Peking noch eher selten. Inzwischen haben sich die Bestände wieder gut erholt. Hier am Fluss fallen vor allem die Fischreiher und andere Wasservögel auf, Enten und Schwäne sind nicht dabei. An mehreren Stellen ruft ein Kuckuck und es pfeift ein mir unbekannter Vogel eine schöne Melodie. Elstern und auch Blauelstern gibt es in Peking reichlich. Raubvögel habe ich noch keine beobachten können.

Noch relativ wenige Menschen nutzen das Naherholungsgebiet
Noch relativ wenige Menschen nutzen das Naherholungsgebiet

Ökologisch ist „Beijing Greenway“ zwar nur ein Tropfen auf dem heißen Stein, jedoch ein wichtiger, zumal der Bevölkerung hier gezeigt wird, wie naturnahe Erholung in urbanen Lebensräumen funktionieren kann. Trotzdem habe ich den Eindruck, dass die relativ wenigen Menschen, die ich hier treffe (es ist hier nicht gerade überlaufen, wie der Strandweg an der heimischen Elbe an einem sommerlichen Sonntagnachmittag) aus dem unmittelbaren Umfeld – und nicht wie ich, aus dem Herzen Pekings kommen. Viele sind auf Elektrovehikeln, einige Radfahrer in voller Montur unterwegs. Im gesamten Areal treffe ich im Laufe des Tages nur einen westlichen Ausländer auf einem Rennrad.

Die Uferzone des Wenyu ist sehr morastig
Die Uferzone des Wenyu ist sehr morastig

An vielen Stellen wird gepicknickt und obwohl Barbeque untersagt ist, haben viele ihre kastenförmigen Grills in Betrieb genommen. Kleine Zelte werden aufgestellt und Hängematten zwischen den Bäumen verspannt. Im Fluss darf nicht gebadet werden. Es würde sich auch nicht empfehlen, denn das Wasser ist sehr veralgt und die Uferzonen sind extrem morastig. Was allerdings die zahlreichen Angler nicht davon abhält soweit es geht, an das von Schilf gesäumte Ufer vorzudringen. Sportboote habe ich auf allen Flüssen nie gesehen, nur Boote von Kanalarbeitern.

Unvermittelt endet der Radweg an einem Bauzaun
Unvermittelt endet der Radweg an einem Bauzaun

Das Streckennetz der roten Fahrradwege ist an vielen Kreuzungspunkten unvollendet; wahrscheinlich weil das halbautomatische Straßenbaugerät, das den Belag (Tarmac®) aufträgt, nur für halbwegs gerade Streckenabschnitte ausgelegt ist. An einigen Stellen endet der Radweg plötzlich an einem blauen Bauzaun aus Wellblech. Hat man diesen umfahren, beginnt der Weg an anderer Stelle oft unvermittelt wieder. Im nördlichen Teil des Areals finden sich unweit der Wege auch Grabhügel, unter denen die lokale Bevölkerung traditionsgemäß ihre Toten bestattet. Sie sind an dem, auf der Spitze der etwa eine Meter hohen Erdhaufen, abgelegten, von Steinen beschwertem Papier, gut zu erkennen.

Irgendetwas ist bei diesen nagelneuen Müllbehältern schief gelaufen. Im Hintergrund ein Grabhaufen
Irgendetwas ist bei diesen nagelneuen Müllbehältern schief gelaufen. Im Hintergrund ein Grabhaufen

Eine Schande ist der Umgang mit Unrat jeder Art. Viele Chinesen haben die Unart ihren Müll wo sie gerade gehen und stehen fallen zu lassen. Dabei gibt es ausreichend Müllbehälter – alle mit Trennung nach wiederverwertbarem und sonstigem Müll. Und wo bereits Unrat abgeladen wurde, sammelt sich sofort weiterer an. Die Sitzbänke der ältesten Teile des Naherholungsgebietes sind durch Witterung, Benutzung und auch Vandalismus bereits stark in Mitleidenschaft gezogen und werden hoffentlich bald erneuert.

Eine große Pause mache ich am östlichen Ufer – dort wo der Fluß eine Biegung nach Westen macht – bei einem stark verfallenen kleinen Bauernhaus. Die kaum mehr als handtuchgroßen Flächen in unmittelbarer Nähe werden jedoch bewirtschaftet. Ich sehe Zwiebeln und jungen Maispflanzen.

Maschine der Deutschen Lufthansa aus München kommend im Landeanflug auf Peking
Maschine der Deutschen Lufthansa aus München kommend im Landeanflug auf Peking

Etwas nördlich davon liegt eine Einflugschneise des Beijing Capital International Airport. Ich sehe die aus München kommende Maschine der Deutschen Lufthansa im Landeanflug über den Wipfeln der Pappeln.

Großer Stein mit eingraviertem Layout eines Golf-Parcours
Großer Stein mit dem gravierten Layout eines Golf-Parcours

Auf beiden Seiten des Flusses, finden sich etwa brusthohe Steine auf denen jeweils das Parcours einer Golfanlage eingraviert ist; mit Layout des Greens, den Entfernungen in Yards, usw. Das Alter der umstehenden Bäume lässt darauf schließen, das sich hier vor etwa 20 Jahren eine große Golfanlage befunden haben muss. Inzwischen liegt das Golf Ressort zwischen dem nordöstlichen Teil des Areals und dem Flughafen.

Panorama der Landschaft am Wenyu-Fluss, vom östlichen Ufer aus aufgenommen
Panorama der Landschaft am Wenyu-Fluss, vom östlichen Ufer aus aufgenommen

Auf dem Rückweg am Westufer nach Süden wird es unerträglich heiß und meine Wasservorräte drohen zu Ende zu gehen. Es wird schluckweise rationiert, denn Kioske an denen man sich versorgen könnte, gibt es hier nicht. Glücklicherweise habe ich mich später am Nachmittag mit Freunden verabredet, die am Chaoyang-Park wohnen. So muss ich nicht das ganze Stück zum Apartment zurück in einem Satz radeln. Aber auch zum Chaoyang-Park ist es noch ein ganzes Stück. Gegen die Nachmittagssonne, gegen den Westwind und auf wundgerittenen Sitzhöckern …

Als ich nach dem Abendessen mit meinen Freunden in einem Barbeque-Restaurant mit Dachterrasse, die letzten Kilometer zu meinem Apartment strampele, bin ich ganz schön platt. Aber alles in allem ein sehr schöner erfüllter Tag!

Weitere Bilder dieser Tour gibt es hier in der Galerie …