Obwohl ich Peking bereits seit 1991 besuche, habe ich bislang eines der wichtigsten touristischen Highlights irgendwie verpasst: die Grabanlage der Ming-Kaiser, auch bekannt als Shisanling 十三陵 (Dreizehn Gräber). Ming-Kaiser Yongle – der auch die Verbotene Stadt in Peking bauen ließ – wählte 1409 dieses etwa 80 Quadratkilometer große Areal, südlich schützender Bergketten, als idealen Ort für die Bestattung seiner selbst und 12 nachfolgenden Kaisern der Ming-Dynastie. Seit 2003 sind die Ming-Gräber Weltkulturerbe.
Da ich am Nachmittag arbeiten muss, mache ich mich bereits um sieben Uhr früh auf den Weg. Die U-Bahnstation Jianguomen ist nur 10 Fußminuten entfernt. Mit der Linie 2 fahre ich bis Xizhimen, steige in die Linie 13 nach Xi’erqi und dort in die erst 2015 fertiggestellte Changping Linie um. Nach gut 90 Minuten Fahrzeit befinde ich mich etwa 50 km vom Zentrum Pekings entfernt in der Pampa wieder. Wirklich, denn der Bahnhof von Shisanling ist hochmodern, hat vier Ausgänge, ist jedoch überhaupt noch nicht an bereits vorhandene Infrastruktur angeschlossen.
Auf der anderen Seite eines Mauerdurchbruchs betrete ich die Welt des ruralen Chinas: schmutzige Gassen, eingeschossige Bauten, kleine Handwerks- und Industriebetriebe, Obstplantagen und Gärten und überall viel achtlos entsorgter Müll. Trotzdem für den Touristen sehr pittoresk. Sofort werde ich von Einheimischen umringt, die mir ihre Dienste als Taxifahrer anbieten. Ich möchte lieber zu Fuß gehen. Zwar zeigt mir mein Navi hier nur leere beige und graue Flächen, jedoch vermute ich, dass die Gräber in nördlicher Richtung liegen. Auf dem Weg überhole ich einige andere Chinesen, die offensichtlich das gleiche Ziel haben.
An einer großen Kreuzung dann wieder Taxiangebote: 30 Yuan wollen sie haben. Ich gehe stur weiter und entdecke auf einem Richtungsschild einen Hinweis im internationalen Braun für Sehenswürdigkeiten: 十三陵 Also liege ich richtig! Da ich noch gar nichts gefrühstückt habe, kaufe ich am Straßenstand einer Obstbäuerin einen riesigen rosa Apfel – sehr knackig, saftig, sehr süß. Es ist jetzt kurz nach 9 Uhr. Ich bin seit dem Bahnhof sicherlich 3 km gelaufen, als ich auf einer Anhöhe das Rote Tor erblicke, wo die Grabanlage beginnt.
Von hier sind es nur noch einige hundert Meter bis zum Eingang der Anlage am Südtor (Divine Merit and Sage Virtue Stele Pavilion) des Weges der Seelen – auch Heiliger Weg genannt. Ab hier bezahlt man Eintritt. Der Weg der Seelen kostet 30 Yuan, die gesamte Anlage 165 Yuan. Heute aber nur der Weg der Seelen, der sich fast gerade etwa 3 km bis zum Nordtor (Dragon-Phoenix Gate) hinzieht und von Trauerweiden und paarig angeordneten riesigen Steinfiguren gesäumt ist, die Tiere und menschliche Figuren darstellen. Ich schaffe es fast bis zum Nordtor, als ich mich zur Umkehr entschließe.
Auf dem Rückweg bekomme ich Hunger und esse die beiden mitgebrachten Brötchen aus Ölblätterteig. Einfacher, günstiger und besser kann man kaum frühstücken. Jetzt kommen mir Horden von Touristen entgegen, auf der Straße st dichter Verkehr. Erstaunlich viele Radfahrer unterwegs: Touren- und Rennräder. Alle fahren mit Helm. Gegen 11 Uhr bin ich wieder an der U-Bahnstation. Hier steigen nur wenige Fahrgäste ein. Viele junge, wenig alte – das fällt einem überall ins Auge. Alle freundlich und gesittet, meist gut gekleidet. Je weiter wir Richtung Stadt kommen, desto voller wird es. Zum Glück habe ich einen Sitzplatz.
Der Zug ist durchgegehend – ohne Trennung zwischen den Waggons – geschätzte 150 Meter lang und kann sicher bis zu 1000 Fahrgäste aufnehmen. Auf der Changping Linie fahren die Züge mit bis zu 100 km/h. U-Bahn fahren in Peking ist großartig: sauber, sicher, schnell, pünktlich, gut ausgeschildert, modernste Technik und vor allem sehr erschwinglich. Für kurze Fahrten werden 3 Yuan, für meine lange Fahrt insgesamt 16 Yuan (etwa 2 Euro) von der Netzkarte abgebucht. Das riesige Netz ist mit 16 Linien ausgebaut: Die ersten beiden Linien der Pekinger U-Bahn gab es bereits 1969. Ab 2002 wurde dann jedes Jahr eine weitere Linie hinzugefügt!
Alle Bilder dieses Artikels können durch Anklicken vergrößert werden …
Für November plane ich einen ganztägigen Ausflug nach Shisanling, um mir dann tatsächlich alle Ming-Gräber anzuschauen. Dann sind auch nicht mehr ganz so viele Touristen unterwegs.