Mein jüngster Kollege, gerade mal 22 Jahre alt, hatte mich darauf aufmerksam gemacht, dass Michael Rother in der Stadt gastiert. Da er jedoch den Namen englisch aussprach: majkəl rɔθər, hatte ich erst einmal keine Ahnung wen er meinte. Dann dämmerte mir, dass er das Hamburger Elektronikmusik-Urgestein (Flammende Herzen) meint, das zu einem Konzert nach Peking in den Yugong Yishan Club kommt. Das wollte ich mir natürlich nicht entgehen lassen!
Der Name des Clubs kommt von der alten chinesischen Sage Yugong, der Berge versetzt. Das Werk, das Yugong zu Lebzeiten nicht schaffen könne, würden seine Kinder und Kindeskinder vollenden. Die Götter waren von seiner Willenskraft so beeindruckt, dass sie ihm die Arbeit erleichterten …
Ich kam gegen 21:30 Uhr mit meinem Fahrrad an. Der Eintritt an diesem Abend stolze ¥200 (etwa €30). Die Namen der Vorgruppen habe ich nicht mitbekommen. Ziemlich wilde elektronische Rhythmen. Etwa 300 Besucher füllten den Konzertsaal, der auch irgendwo in Europa hätte sein können: dunkel, schwarze Wände, alles etwas heruntergekommen, gerade an der Grenze zu schäbig. Auch die Besucher sicher alle unter 30, hätte man in jedem anderen Club auf der Welt in der gleichen Mischung antreffen können. Die Bar hatte alles an internationalen harten Getränken zu bieten, bis hin zu „Jägermeister“. Ich bestellte eine Flasche Guinness zu ¥40. Auch preislich internationales Niveau.
Michael Rother begrüßte das Publikum mit den einzigen beiden chinesischen Worten, die er kann: „Nimen hao!“ – was soviel bedeutet wie „Ihr seid gut!“, eine sehr geläufige Begrüßung. Als er mit Bassmann und Schlagzeuger zusammen loslegte, vibrierte die Luft. So einen dichten Klangteppich habe ich lange nicht mehr erlebt. Die äußert präzise gespielten Stücke gaben mir das Gefühl auf der Musik schwimmen zu können. Verzückt und mit geschlossenen Augen hatte ich mitunter das Gefühl etwas vom Boden abzuheben. Auch meinem chinesischen Freund gefiel es ausgesprochen gut. Die Chinesen sind in ihrem Enthusiasmus meist gebremster als wir. Nicht alle applaudieren, die meisten auch nur kurz. Wenige wippen mit, keiner tanzt.
Die Musikstücke eine Auswahl aktueller und historischer Titel (Sonnenrad). Das Publikum forderte zwei Zugaben und belohnte mit reichlich Applaus. Nach dem Konzert hatte ich während der Signierstunde eine Gelegenheit ihm kurz „Hallo“ zusagen und mich als alten Fan zu outen: „Mir hat es sehr gut gefallen. Ich hab‘ deine Sachen bereits 1976 gehört. Wahrscheinlich war ich heute Abend der älteste hier.“ „Ja, außer mir!“
Leider habe ich hier keinen Zugang zu YouTube und die chinesischen Videostreaming- Dienste sind alle auf chinesisch. Deshalb hier ein winziger Streifen meiner Mitschnitte, der aber einen guten Eindruck von der Atmosphäre gibt.